BHM BEITRAG 2019

Am 08.02.2019 fand im Rahmen des Black History Months  Frankfurt ein Storytellingsalon der ISD unter dem Motto “B(l)ack to the Future” statt, bei dem ich neben der Kuratorin Dr. Mahret Kupka, Galeristin Sakhile Mathlare sowie den Moderatorinnen Hadija Haruna-Oelker und Christelle Nkwendja-Ngnoubamdjum, mitwirkte.

Im Rahmen des TellTales-Kunstfestivals, das 2017 von dem feministischen Kunstkollektiv OrgaOrga organisiert wurde, fand der Zineworkshop “Mother, Motherland & Mothertongues” unter der Leitung der Wiener Künstlerin Sofi Utikal statt, bei dem ich dann ein paar Seiten des Zines mit der Fluchtgeschichte meiner Mutter - die ohne den Einsatz meiner Großmutter, R.I.P. , nie stattgefunden hätte -  befüllt habe. Um die Geschichte etwas zugänglicher zu machen, habe ich bewusst den Beitrag auf Englisch geschrieben; darüber hinaus habe ich die Story im Weltall spielen lassen.

Was hat das Ganze nun mit dem BHM zu tun? Als ich angesprochen wurde, einen Beitrag für den BHM Frankfurt beizusteuern, wusste ich erst nicht, was ich genau machen soll, denn wir, die Storytellerinnen, waren komplett frei in der Gestaltung unseres Beitrags.
Da ich Ytasha Womacks Übersichtswerk “Afrofuturism: The World of Black Sci-Fi and Fantasy Culture”, dass 2013 erschien,  einige Male gelesen und den Eindruck hatte, dass es sich hierbei um einen guten Einstieg in Schwarze, Futuristische Imaginationen handelt, bot es sich an, Womack’s Definition von Afrofuturismus in meine Story einzubauen. Mir ist sehr wichtig, bestimmte Inhalte für ein möglich breites Publikum zugänglich zu machen und dabei möglichst wenig klassistische Hindernisse zu reproduzieren. Womack’s Definition von Afrofuturismus habe ich mit dem “Mundane Afrofuturist Manifesto” der Videoperformancekünstlerin und Programmiererin Martine Syms kontrastriert und die Geschichte meiner Großmutter, Mutter und letztendlich meinen Schwestern und mir herangezogen, um sie als Projektionsfläche für diese theoretischen Inhalte zu nutzen.

Lange Rede kurzer Sinn, hier habe ich meine Story noch einmal versucht zu verschriftlichen und die Bilder, die ich in meiner Präsentation verwendet habe, hochgeladen. Ich hoffe, dass sich der Post halbwegs lesen lässt und die vielen GIFs nicht den Lesefluss stören, da wie vorher schon erwähnt worden ist,  es es ich hier um einen mündlichen und frei gesprochenen Beitrag handelt.

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Hallo,

In unserer Gesellschaft gibt es viele Geschichten, die nicht gehört oder gesehen werden. Eine davon möchte ich heute mit euch teilen.

Diesen Abend habe ich die Möglichkeit, die nächsten Minuten mit einigen Kapiteln der Story zu füllen und Space einzunehmen, denn - falls ihr es noch nicht wusstet - ich bin ein Space Invader [und nein, damit meine ich nicht das Arcadespiel 😉].

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Ytasha Womack, von der ihr ja eben etwas hören konntet [kurze Anmerkung: vor meinem Beitrag gab es eine Anmoderation, in der Ytasha Womack kurz vorgestellt worden ist], ist eine Publizistin, Drehbuchautorin und Forscherin, die 2013 das Buch “Afrofuturism - The World of Black Sci-Fi and Fantasy Culture” veröffentlichte und as eine allgemeine Übersicht auf dieses weitfassende Feld gibt.

Eine Definition nach Ytasha Womack [grob übersetzt]

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Afrofuturismus ist eine künstlerische Ästehtik und Framework für Kritische Theorien, dass Elemente der Science Fiction mit denen der Historischen und Spekulativen Fiktion, Fantasy, Afrozentrizität und magischen Realismus mit Inhalten von nicht-westlichen Glaubenssytemen und Kosmologien kombiniert. 
In manchen Fällen handelt es sich dabei um komplette Revisionen der Vergangenheit, sowie Imaginationen der Zukunft, die voll von kulturellen Kritiken ist.
Womack argumentiert, dass Afrofuturisten demnach soziale und rassistische Konditionen überwinden möchten und Empowerment als Grundprinzip wählen.

Martine Syms ist eine Videoperformancekünstlerin und Programmiererin, die populäre Vorstellungen von Afrofuturismus kritisiert, deren Fokus zu sehr auf unexaminierte Archetypen, Bezüge zur Ägyptologie und Figuren aus der Popkultur liegen.
Ihrer Meinung nach braucht es eine neue Entwicklung der Strömung mit Betonung auf der Humanität von Schwarzen Menschen.
Sie tritt für eine Schwarze futuristische Imagination ein, die fest in der Realität verwurzelt ist.
Damit man sich das Ganze etwas besser vorstellen kann, habe ich hier einige Auszüge aus ihrem [achtung, grob übersetzt] “Alltäglichen Afrofuturistischen Manifest” für euch:

The undersigned, being alternately pissed off and bored, need a means of speculation and asserting a different set of values with which to re-imagine the future. In looking for a new framework for black diasporic artistic production, we are temporarily united in the following actions.

***The Mundane Afrofuturists recognize that:***

We did not originate in the cosmos.

The connection between Middle Passage and space travel is tenuous at best.

Out of five hundred thirty-four space travelers, fourteen have been black. An all-black crew is unlikely.

Magic interstellar travel and/or the wondrous communication grid can lead to an illusion of outer space and cyberspace as egalitarian.

This dream of utopia can encourage us to forget that outer space will not save us from injustice and that cyberspace was prefigured upon a "master/slave" relationship.

While we are often Othered, we are not aliens.

Though our ancestors were mutilated, we are not mutants.

Post-black is a misnomer.

Post-colonialism is too.

The most likely future is one in which we only have ourselves and this planet.


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Screenshots der Präsentation (ich stehe auf Videotextästhetik hahaha)

Screenshots der Präsentation (ich stehe auf Videotextästhetik hahaha)

Die Statements und Imaginationen aus dem Manifest - das auch als gleichnamige Videodokumentation existiert - erinnerte mich an folgendes Zitat:

The future belongs to those who prepare it for today.
— Malcolm X
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Dieses Zitat stammt aus Malcolm X’s Rede “Who taught you to hate yourself?” und verkörpert in vielen Teilen die Sichtweise, die ich einnehme um das Aufwachsen meiner Eltern, und uns, ihrer Kinder, zu beschreiben.

Die Geschichte meiner Familie beginnt eigentlich mit meiner Großmutter, Regeat.

Meine Großmutter, Regeat, habe ich nie persönlich kennenlernen können, da sie schon in den 80ern ziemlich jung verstarb. Den Geschichten meiner Mutter nach, wollte meine Großmutter immer, dass ihre Tochter, meine Mutter Saba, Dinge erreichen kann, die für Regeat und vielen Arbeiter_innen ihrer Generation verwehrt blieben.
Laut meiner Mutter war Regeat sehr wissbegierig; sie besuchte bis zur 8. Klasse die Schule und konnte lesen und schreiben, was in Eritrea während den 1940ern für viele Frauen leider nicht Alltag war.
Leider kam mit ihrer Heirat ihre Bildungskarriere zu einem Stop; ihren Wissensdurst gab sie jedoch an ihre Kinder weiter.

Die Geschichte, die ich jetzt mit euch teile, ist leicht fiktionalisiert.
Ich habe bewusst meine Großmutter Regeat und meine Mutter Saba in den Fokus dieser Story gesetzt, weil gerade die Stimmen von Frauen* wie meiner Mutter oder Regeat oftmals ignoriert werden. Meine Oma war eine Visionärin, eine Person die im Hier und Jetzt agierte, um die Zukunft ihrer Nachkommen etwas besser zu machen. Ohne Regeat, wäre ich heute nicht hier um euch diese Geschichte zu erzählen.

Meine Eltern, Yung Saba + Yung Mike [ganz rechts]

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Regeat, der wegen dem intergalaktischen Krieg keine andere Wahl blieb, als ihre Tochter Saba zu entsenden, war tieftraurig.
Natürlich wollte Saba ihre Heimat nicht verlassen. Wozu auch? Hier hatte sie alles: ihre Geschwister, ihre Oma, Freunde, Eltern und ihren Hund. 
Doch Regeat flehte Saba an. Schweren Herzens fällte Saba die Entscheidung, zu gehen.
Sie gab ihrer Mutter einen Kuss und sie verabschiedeten sich voneinander.
Beide wussten aber nicht, dass es sich bei dem Abschied um ein Lebewohl handelte.
Über 40 Jahre später wird eine Poetin folgendes über diesen Moment sagen:

you have to understand,
that no one would put their children in a boat
unless the sea is safer than the land
— Warsan Shire

Während Saba durch Zeit und Raum reiste, wurde sie ein mutterloses Kind.
Sie vermisste ihre Mutter und Asmara. Adi Teklay und ihre Geschwister. Die Geschichten, die ihre Großmutter mit ihr teilte.
All diese Dinge, die so weit entfernt schienen, spendeten Saba während ihrer Reise viel Kraft.
All diese Dinge behielt sie in ihrem Herzen.
Nach Äonen landete sie auf einen Planeten, der zu anfangs ein kalter, fremder Ort für sie war.
Doch wenn sie ihre Augen schloß, spürte sie die warme Sonne Asmaras auf ihrer Haut.
Wenn sie einsam war, dachte sie an die Fabeln ihrer Großmutter oder an die Neckereien ihrer Geschwister.
Eines Tages schloß sie die Augen, um die Sonne Asmaras zu spüren - sie öffnete die Augen und traf zum ersten Mal auf Michael.
Michael war auch ein mutterloses Kind. Er verstand sie. Sie wurden beste Freunde und mehr.
Nach einigen Jahren brachte sie einen außerirdischen Space Invader auf die Welt.

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Saba und ihr Partner Michael, schafften es, durch dieses merkwürdige, fremde Land zu navigieren.

Dort war Saba nicht nur eine Mutter für ihre drei Töchter, sondern auch für ihre jüngsten Geschwister.

Zuhause waren ihre Kinder voller Freude und Lachen.
Michael spielte oft Musik aus seiner Heimat und benachbarten Welten, die die Kinder liebten.

Dass Zuhause von Saba und Michael war ein Kosmos, eine Welt für sich, auf der jeden Tag eine private Blockparty lief.
2001 kaufte Michael für seine Kinder den ersten PC, auf dem Programm Microsoft Encarta Enzylopädie installiert war.
Das Programm war für die Kinder wie eine Zeitmaschine: die Kinder konnten alten Blues hören, in das jazzige Harlem der 1920er reisen, Milkshakes trinken und sich vorstellen, wie aus der Jukebox die Musik von Little Richard zu hören war. Wenn sie sich  Funkclips anschauten, legten sie sich Bademäntel um, so wie es der Godfather of Soul,  James Brown mit seiner Caperoutine tat.

Ihren Töchtern machten sie auch immer klar, dass ihnen die Welt offen stand und alles werden konnten, wenn sie nur fest genug daran glauben.

Meine Eltern sind einfach fucking cool, ich kann es nicht anders ausdrücken. Meine Familie ist eine ganz normale Arbeiterfamilie, Geld war also immer knapp - aber das haben wir Kinder nie zu spüren bekommen (zumindest nicht von unseren Eltern).
Als Kind hatte ich ständig unterschiedliche Vorstellungen von meinem zukünftigen Beruf. Eine zeitlang wollte ich “Wissenschaftlerin” werden (haha!) und meine Mutter besorgte mir Sammeldosen, die mit Vergrößerungsgläsern ausgestattet waren, sodass ich die Insekten, die ich einsammelte, auch genau anschauen konnte. Meine Schwester Adiam war meine treue Partner_in bei unseren Missionen.
Meine beständigsten Berufswünsche waren Sänger_in und Astronaut_in.
Als mein Vater - ein enthusiastischer Weltallnerd -  davon hörte, haben mir meine Eltern zum nächsten Geburtstag ein Teleskop geschenkt.
Und Unmengen an Büchern. Wenn ich von einer Sache nie genug bekam, waren es Bücher. Meine eigenen habe ich unzählige Male ausgelesen. In den Sommerferien las ich aus Langeweile meine Schulbücher für das nächste Schuljahr, Wörterbücher die zuhause rumlagen, Lexika, Encarta-Artikel, Werbung, etc.,  einfach alles was ich in die Finger bekam. Der Nerd in mir machte sich extrem breit.
Wenn ich mal nicht las oder Musik hörte, habe ich extrem viel Fernsehen geschaut. Wir hatten kein Kabelfernsehen zuhause, also gaben wir uns einfach alles, unter anderem Star Trek: The Next Generation.
Als ich zum ersten Mal die Folge schaute, in der die Enterprise Crew einem Abbild von William Riker begegnete, konnte ich nicht fassen, dass Mae Jemison, die erste Schwarze Frau im All, eine Transportoffizier_in spielte! Das war einfach zu viel für mich.

 

Mae Jemison und LeVar Burton in Star Trek: The Next Generation, Staffel 6 Folge 24.

Mae Jemison und LeVar Burton in Star Trek: The Next Generation, Staffel 6 Folge 24.

Draussen jedoch bemerkten Sabas Töchter, dass die Menschen sie als nicht gleichwertig ansahen. Ihre älteste Tochter dachte sogar, dass etwas nicht mit ihr stimmte:

Manche Kids mochten sie nicht, weil sie nerdig war, andere wollten nicht mir ihr spielen, weil ihre Haare, anders als die Haare der Leute, der Schwerkraft trotzen konnten, wiederrum andere waren neidisch auf die Farbe ihrer Haut.

Eines Tages sagte ihr ein Junge, dass sie nicht auf den Planeten gehörte.

Sie hörte auf seine Worte, aber auch auf die anderer:

Zum Beispiel Geordi.

Zum Beispiel Geordi.

Sie begann, die Töne und Melodien anderer Aliens zu hören, die auch so aussahen wie sie selbst. 

Sie hörte ihrer Mutter zu, wenn sie ihr Märchen, Geschichten und Fabeln von ihrem Zuhause erzählte.

Durch die Musik, die sie hörte und Saba’s Stories, konnte sie sich in andere Welten flüchten/träumen, in denen sie sich willkommen fühlte und mehr über sich selbst lernte.

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Wenn sie andere Menschen kleinmachen wollte, dachte sie “I’M BIGGIE” (corny, I know)
Und wenn sie andere ausschlossen, und ihr klarmachen wollten dass es keinen Platz für sie gibt, verwandelte sie sich in eine HBIC [Shoutout an New York von Flavor of Love].

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Manchmal gelang es den Leuten, sie mit schlechten Gedanken zu füllen.
Als sie von Kopf bis Fuß verstaubt war, sagte ihr Jay-Z:

DIRT OFF YOUR SHOULDER!

DIRT OFF YOUR SHOULDER!

Mit steigender Institutionalisierung “flüchtete” ich mich immer mehr in Schwarze, futuristische Imaginationen. Der sich immer mehr verstärkende Eskapismus drückte sich vor allem in der Musik, die ich hörte, aus.

Meine Welt bestand aus leuchtenden Hype Williams-Videos. Timbaland’s Productions, Chad Hugo’s und Pharrell’s Star Trak Beats und Missy Elliott’s Raps wurden mein Soundtrack und alle Formen von afrodiasporischer Musik mein ständiger Begleiter.

Als jemand, der sich schon immer irgendwie als Nerd sah, fand ich mich in Menschen wie Geordi La Forge, Ingenieur der USS Enterprise in Star Trek: TNG, oder Übersetzungs- und Kommunikationsoffizierin, Nyota Uhura, reflektiert.

Wenn ich mir das Leben meiner Familie anschaue, kann ich nicht sagen ob ich mich eher den fantastischen Imaginationen Womack’s oder den Statements von Martine Syms anschließen würde. Vielleicht liegt es an meinem Sternzeichen [Waage für die Zodiac Geeks unter uns], aber ich finde beide haben ihren berechtigten Platz in diesem Diskurs. Die Visionen meiner Oma bzw. der unabdingbare Glauben meiner Eltern ins uns Kinder könnten aus Syms Gedankenwelt stammen; genauso aber haben mich die Inhalte und Sounds aus Musikvideos, TV-Serien und Platten meines Vaters, die ich wie ein Schwamm aufsog, geprägt und empowert.

James Baldwin sagte einmal folgendes: 

It took many years of vomiting up all the filfth I’d been taught about myself and half-believed, before I was able to walk on earth as though I had a right to be here.
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Es dauerte einige Jahre, bis sich dieser Gedanke in mir verfestigte.

Ich bin dankbar für die Freund_innenschaften, in privaten und aktivistischen Umgebungen, die ich in den letzten Jahren schließen konnte.

Zusammen visualisierten wir die Idee des Space Invaders nicht nur in galaktischen Sphären, sondern denken die Idee wirklich raumeinehmend, so wie wir alle heute Abend. 

Wie einige von euch wissen, komme ich aus Kaiserslautern, einer Stadt im Pfälzer Outback, in der alles mögliche nach Fritz-Walter benannt ist. 

2019 plädiere ich für eine LeVar-Burton Straße, meiner Meinung nach das Coolste, was Kaiserslautern zu bieten hätte.

LeVar Burton - einige kennen ihn in seiner Rolle als Kunta Kinte in der 1970er TV-Adaption des Romans “Roots” von Alex Haley, viele aber auch als Geordi La Forge - kam nämlich in Landstuhl, gelegen im Landkreis Kaiserslauterns, auf die Welt.

Geordi war nie weit weg, er war schon immer vor meiner Haustür.

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Stay gold, my G’s