„Realkeeper vs. Trap“ oder „Immer schön realness™ dekonstruieren“

People are getting pretentious about being unpretentious. Ein Kommentar. Oder auch einfach mal ‘ne Runde abgelästert.

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Nur weil ein MC auf Boombapbeats flowt [oder auch nicht, weil kein Rhythmusgefühl], heißt das ich nicht automatisch, dass es sich hier um den zweiten Nas handeln muss. Die grundlegende Realness™ von Künstler_innen anzuweifeln, nur weil sie Trap machen, ist ziemlich wack.
Don’t get me wrong, ich finde, dass es vieles an Soundcloud(t)rap zu kritisieren gibt - nicht alles, was auf dieser Plattform entsteht, ist dadaistische Genialität, vor allem, wenn oder viel eher weil es weiße, deutsche, Kodein abfeiernde Boys machen.
Das gleiche hatten wir schon mal vor paarundsechzig Jahren mit Bebop, danach mit Rock and Roll und davor mit Swing, Leute.
Eine plötzlich wahrgenommene Intellektualisierung Schwarzer Musik, weil sie von Weißen performt wird, hinterlässt einen rassistischen Beigeschmack. Fragt mal Norman Mailer .

Naja zurück zur Sache: die grundlegende Realnessvon Künstler_innen anzuweifeln, nur weil sie Trap machen, ist ziemlich wack.
Ich meine, die Kritiker_innen machen es sich auch sehr einfach - so wie einst Raplegende Snoop Doggy Dogg auf seinem YouTube-Channel westfesttv. Zugegeben, ich finde seine Imitation lustig und zutreffend, aber auch überholt.
Der Flow des Traps ist keine Neuerscheinung, sondern existiert nachweislich seit den späten 1980ern und frühen 1990ern.
Interessanterweise war Chuck D von Public Enemy einer der ersten MC’s, die diesen Flow auf einem veröffentlichten Track verwendeten [vgl. Public Enemy | Bring The Noise.]

Triplet Flows waren all over the States, aber vor allem im Dirty South: von Da Brat, über Tommy Wright III bis hin zu Three Six Mafia.
Andrew Nosnitsky hat vor einigen Jahren auf seinem alten Blog einen hervorragenden Post dazu geschrieben, der sehr detailliert die Geschichte der Südstaatentriplets erklärt.
[Btw, ich schmeiße einfach mal die Behauptung in den Raum, dass das Video "How the triplet flow took over rap” aus der Earwormreihe von vox.com sehr stark von Nosnitsky’s Vorarbeit inspiriert ist. *sips tea*]

Aspekte der Abneigung gegenüber Trap und ihrer Sprösslinge stammen auf ein weit zurückgehendes, aus den 1990ern stammendes Überlegenheitsgefühl zurück: ein Gulasch aus hyperregionalisierten Beef, strotzend vor Machismo und Hennessy, Bad Boy Records und Death Row, East vs West, Frank White vs Pac und jeder Person, die irgendwie eine Posse hatte und meinte, etwas zu dem Feud beitragen zu müssen. Daher ausgehend beachteten die meisten den ländlichen und an die Wurzeln Schwarzer Musik erinnernden Süden eher weniger, denn das Spotlight lag auf den beiden Küsten.

Eine der Aushandlungsbühnen dieses konfliktreichen Prozesses - oder einfach gesagt :
where shit went down - waren die Source Awards am 03.08.1995 in New York City.

Eine legendäre, verrückte und ja auch traurige Nacht, die messerscharf beschreibt, was ich versuche rüberzubringen.
Die Source Awards waren berühmt wie berüchtigt dafür, dass MCs manchmal Worte in Taten umsetzen. Beispielsweise schoß Sticky Fingaz [Onyx] während seiner Performance bei den Source Awards 1994 einige Male in die Luft. Ja, das ist passiert. Wie kann diese Show noch skuriller werden?

Enter 1995.

Eazy-E’s Tod war erst einige Monate her, die Wunden noch frisch.
Die Fronten verhärteteten sich.
Questlove, legendärer Drummer und nebenberuflich wandelndes Hip Hop/Popkultur-Lexikon und Storyteller, erklärte 2011 in einem Interview mit Pitchfork:


The ideology of what I considered "real" hip-hop died at the 1995 Source Awards.
I was literally at its funeral-- I sat three rows behind Nas. In the audience, the Bad Boy camp was on the far right, all the West Coast and the Southern rappers were in the middle, and on the far left were all the New York underground rappers like Wu-Tang, Mobb Deep, Nas, Busta Rhymes, and us.

That was the day when Suge called out Puffy, and there were fights in the audience.

I felt like a bomb was going to detonate.

Nas' body language that day told the whole story of where we were about to go. The more he got ignored for Illmatic, I literally saw his body melt in his seat. Almost like he was ashamed. He just looked so defeated. I was like, "Yo, he's not gonna be the same after this shit." None of us were the same after that day. I feel like the true underground lost its oxygen that night.


Im Gegensatz zu Questlove glaube ich meistens nicht so ganz an einen „realen™” oder „unrealen“ Hip Hop. Warum ich trotzdem dieses Zitat gewählt habe, liegt an der Atmosphäre, die Questlove hier kreiert.

Sie bringt die hohe Explosivität der Situation zu tage.

I mean… gibt euch diese Ansage von Snoop Dee O Double Gee. Whew.
Meilenweit entfernt vom Uncle Snoop dieser Tage.
Es ist ziemlich klar, dass es sich um ein Riesendurcheinander von Preisverleihung handelt.

Dann ist es ja auch nicht so verwunderlich, dass Outkast - die einen Award für Artist of the Year gewannten - trotz ihrer überaus erfreshenden Art und kreativen Brillianz hart ausgeblendet wurden.
Sie waren weder East noch West, in den Augen der New Yorker, nichts Halbes und nichts Ganzes, sondern so gut wie Außerirdische.
Und dass sogar noch vor der Transformation eines jungen Dre’s zum funkigen, abgespaceden und an George Clinton erinnernden André 3000. Und Big Boi hieß damals auch noch Antwan. Glaub ich zumindest.
Als sie ihren Award entgegennahmen, stand ihnen das Publikum feindselig gegenüber und buhte sie lautstark aus. Dre, seinen Mut zusammennehmend, ließ sie nicht vergessen, dass der Süden etwas zu sagen hat - “DA SOUF GOT SUM’ TO SAY”.

Fast schon prophetisch das Ganze, wenn man sich rückblickend Master P und sein Imperium, dass Y2K dominierte, anschaut.

Heute ist es dass, was die Realkeeper verschmähen.

Die polemische Kritik der Realkeeper - zu finden in Subreddits, YouTube-Kommentaren, fast ausgestorbenen HipHop-Foren und Facebookrants - sind auch keiner festen Altersklasse oder Generation zuzuordnen.
Es handelt sich um einen Querschnitt der Gesellschaft.

Vom 1999 geborenen und sich als 90s Kid deklarierenden Gen-Zer,

[don’t get me wrong, ich veranstalte hier kein gatekeeping der 90er. Aber ja. Wenn ich mich als „Millenial” nur kindlich an die Zeit erinnere, wie soll das ein damaliges Baby? Nur ein kurzer Nebenkommentar]

bis hin zum leicht homophoben Gen-Xer, der Rap nostalgisch verklärt

[„früher haben wir keine Skinny Jeans getragen, nur Baggys von Carharrt!!!!” What in the 2009 is this commentary?? Manche Realkeeper haben die Entwicklung der letzten zehn Jahre auch einfach nicht mehr mitgemacht. Kein Mensch jerkt mehr Skinny Jeans tragend. Jerkt überhaupt noch irgendwer? Und Jerk ist ein Tanz und kein Trap],

hier findet sich alles und noch vieles mehr.

Das Meiste davon gipfelt in einer anachronistischen Nostalgie des Hip Hops der 90er Jahre und einer fälschlichen Deklarierung des Begriffes Old School

[let’s face it, „Old School“ waren die 80er. Und ja ich verstehe, wenn das Kids sagen, die nach 2000 auf die Welt gekommen sind.
Für die sind auch Ja Rule und Murder Inc. alte Schule. Ist ja auch nachvollziehbar],

gewürzt mit einer Prise unterschwelligen Rassismus und auch einer kleinen Menge Klassismus*.

*[Sorry im deutschen Raum und übertragen auf ebendiesen sind das vor allem Menschen, die z.B. Offenbacher Straßenrap verachten und nur Musik hören, die ich gerne als Gymnasiastenrap bezeichne. The irony. Dabei pumpen sie überaus gerne ‘90s Gangstarap. Sigh]

Sie wurzelt in eben dieser hyperregionalisierten, verzerrt künstlichen Dichotomie zwischen East und West, Stadt und Land, Locs und Timbs.

Ich frage mich: was ist realness™? Wer definiert realness™? Warum schmeißt die Welt Begriffe wie realness™ und consciousness durcheinander [mach’ ich ja auch gerade] ?
Und: diskutieren wir im Rap eigentlich nicht fast immer über dieselben Dinge? East vs West, Conscious vs Gangsta, Old School vs New School?

Am Ende des Tages ist Rap wie Jazz, nämlich von der Straße. Das sagte einst Jelly Roll Morton. Naja oder so in der Art.
Morton war ein New Orleans Orginal, innovativer Jazzpianist und so etwas wie der Kanye West der Jahrhundertwende - ohne scheiß, er war laut seiner Zeitgenossen ähnlich arrogant, talentiert und polarisierend.


"In the year of 1902, when I was about seventeen years old, I happened to invade one of the sections [in New Orleans] where the birth
of Jazz originated from.”

- Jelly Roll Morton


Morton spielte in Storyville, dem Rotlichtviertel New Orleans seine Musik.
Mehr street credibility kann man nicht haben.
Trap is from the gutter - just like Jazz. Straßensound halt. Oder um es in den Worten von Vince Staples Twitter-Account zu sagen:

“You can’t tell Gucci wasn’t conscious when he was driving ten bricks
through zone 6.”


Und realer™ geht's doch kaum. Oder nicht? Ich weiß es auch nicht so genau.

Stay gold my Gs,

Feven [aka reformierte Realkeeperin, die von ihrer Schwester Ace auch als Old Head bezeichnet wird]

P.S.: ich finde es übrigens nicht schlimm, ein Old Head zu sein.
Ein Old Head unterscheidet sich in seiner Eigenschaft der Nichteinbildung von einem Realkeeper.